Timo, Leo und Fabia ...

… sind Fallbeispiele, mit denen wir Ihnen anschaulich von der Förderung und Behandlung in unserer Einrichtung berichten möchten.

Natürlich gibt es diese Kinder nicht wirklich bei uns, aber es könnte sie geben ...

Timo, 4, kann nicht alleine spielen und zappelt ständig herum
Timo ist vier Jahre alt und hat einen enormen Bewegungsdrang. Mit seiner Ausdauer und Aufmerksamkeit ist es dagegen nicht so weit her: "Ständig muss er sich bewegen", klagen seine Eltern, "er bleibt kaum sitzen beim Essen, hört nicht zu und kann sich nicht alleine beschäftigen. Wenn ihn etwas interessiert, kann er sich zwar erst gut konzentrieren, lässt sich dann aber schnell ablenken. Er wechselt ständig sein Spielzeug, vor allem wenn es etwas nicht schnell genug klappt. Außerdem hält er sich grundsätzlich nicht an Regeln. Dabei ist Timo eigentlich ein wissbegieriges, offenes und fröhliches Kind. Nur manchmal – da hat er plötzlich schlechte Laune und ist auf irgendetwas wütend."


Dies ist nicht nur zuhause so, sondern auch im Kindergarten und beim Spiel mit anderen Kindern zuhause oder auf dem Spielplatz. Hier kommt es schnell zum Streit; Timo mag nicht nachgeben, wirft Spielsachen durcheinander und stört andere durch Schreien und Dazwischenrennen. Dies hat mittlerweile dazu geführt, dass andere nicht mehr gerne mit ihm spielen möchten.
                                                 
Weil sein Verhalten immer wieder zu Konflikten führt, wendet sich die Familie auf Anraten des Kindergartens schließlich an Timos Kinderarzt. Dieser stellt ein entsprechendes Rezept aus, und die Eltern nehmen telefonisch Kontakt zu unserem Zentrum auf.
 
In einem ersten Anamnesegespräch schildern die Eltern der Psychologin ausführlich Timos Entwicklungsverlauf, aber auch ihre Sorgen, Ängste und Wünsche. Besonders die Mutter, die viel Zeit allein mit Timo und seiner ebenso lebhaften jüngeren Schwester verbringt, empfindet den Alltag mit den beiden als enorm anstrengend.
 
Im Anschluss an dieses Gespräch erhält Timo einen Termin bei der Psychologin zur entwicklungspsychologischen Diagnostik und einen weiteren Termin zur entwicklungsneurologischen Diagnostik bei der Kinderärztin unseres Zentrums.
 
Die Psychologin untersucht Timos Entwicklungsstand mit einem standardisierten Entwicklungstest. Timo ist in den meisten Bereichen altersgerecht entwickelt, hat jedoch Probleme in der auditiven Verarbeitung und Schwächen in der Merkfähigkeit. Er kann sich nur mäßig konzentrieren und ist schnell abgelenkt. Zwar macht er sich zunächst motiviert an die ihm gestellten Aufgaben, wird dann aber schnell unruhig und rutscht auf seinem Stuhl hin und her. Erscheint ihm eine Anforderung schwierig, neigt er zur Verweigerung. Während der gesamten Untersuchung ist Timo sehr eigenbestimmt und testet seine Grenzen aus.
 
Die Psychologin betrachtet auch, wie Eltern und Kind miteinander umgehen. Dies geschieht in der sog. Interaktionsdiagnostik. Timos Eltern sind freundlich zu ihren beiden Kindern und versuchen, ihnen Zusammenhänge zu erklären. Sie achten jedoch wenig darauf, dass ihre Aufforderungen befolgt werden, und vermitteln wenig zwischen Timo und seiner Schwester.
 
Die Kinderärztin beurteilt die körperliche und geistige Entwicklung. Bei Timo ergibt die Untersuchung einen körperlich unauffälligen Befund. Allerdings kann er seinen Krafteinsatz beim Turnen, Basteln und Malen nicht so gut regulieren: Er kann z. B. nicht gut Bälle fangen, kann Legosteine nur schwer ineinander fügen und hat Probleme mit der Stiftführung. Solche Schwierigkeiten in der Bewegungssteuerung und -koordination nennt man sensomotorische Verarbeitungsstörung.
 
Im Abschlussgespräch bespricht die Psychologin mit Timos Eltern die Untersuchungsergebnisse. Aufgrund seiner Probleme – Schwierigkeiten in der sensomotorischen Verarbeitung und motorischer Unruhe einerseits und seinem selbstbestimmten Verhalten, das zu Konflikten mit Gleichaltrigen und Erwachsenen führt, andererseits – kann Timo die „Komplexleistung Frühförderung“ erhalten. Mit den Eltern werden die Therapieziele abgestimmt. Kinderärztin und Psychologin empfehlen die Durchführung von Ergotherapie als medizinisch-therapeutischer Leistung und ein Interaktionstraining der Psychologin als heilpädagogisch-psychologische Leistung.
 
Untersuchungsergebnisse und Therapieempfehlung werden im. Förder- und Behandlungsplan dargestellt. Er ist Grundlage für die Bewilligung der Behandlung und geht an die Leistungsträger Sozialamt und Krankenkasse sowie an den zuweisenden Kinderarzt zur Kenntnisnahme. Sobald das Sozialamt die Komplexleistung bewilligt hat, kann die Förderung in unserem Zentrum beginnen.

„Die Tinda nis mit mir pielen wollen“ 

Leo, vier Jahre, ist im Kindergarten nicht sehr beliebt. Das liegt an seinem aggressiven Verhalten. Außerdem verstehen die Kinder oft nicht, was er sagt. Deshalb will keiner so recht etwas mit ihm zu tun haben. Er verhält sich sehr eigenbestimmt, kann nur schlecht Blickkontakt halten und bleibt nicht lange bei einer Sache. Seine große Risikofreude endet oft in Stürzen, weil er Gefahren einfach nicht bemerkt.

Seine alleinerziehende Mutter stellt ihn aufgrund einer Verordnung durch den behandelnden Kinderarzt in unserem Zentrum vor. Die Untersuchungen ergeben eine Empfehlung für eine motopädische und logopädische Förderung.
 
Logopädie
In der logopädischen Therapie wird zunächst einmal geprüft, welche sprachlichen Schwierigkeiten Leo genau hat:

Er kann einige Laute noch nicht sprechen, Zunge und Lippen können die nötigen Bewegungen noch nicht richtig umsetzen und er weiß auch nicht, ob das Wort nun „Kind“ oder „Tint“ heißt.

Leo ersetzt die Laute „sch“ und „ch“ durch ein „s“ oder lässt sie ganz aus, die Laute „k“ und „g“ werden zu „t“ und "d“. So wird aus dem Satz „Die Kinder wollen nicht mit mir spielen“: „Die Tinda nis mit mir pielen wollen“.

Es kommt auch schon mal zu Missverständnissen, wenn Leo „Topf“ für „Kopf“ oder „Wein“ für „Schwein“ sagt.

Dazu hat er noch Schwierigkeiten mit der Satzbildung, er stellt das Verb an das Ende:„Auto eintaufen fahren“, weiß die Mehrzahl von Wörtern nicht und kann die passenden Artikel nicht korrekt einsetzen. Seine Merkfähigkeit ist reduziert, seine Konzentration lässt schnell nach und es fällt ihm schwer, sich Dinge in einer Reihenfolge zu merken.

In Gesprächen mit der Mutter und der Erzieherin wird deutlich, dass sich Leo mittlerweile verweigert, sobald sprachliche Anforderungen an ihn gestellt werden. Ihm ist klar, das hier etwas mit ihm nicht stimmt und in seiner Aggressivität kommt der Frust und die Wut darüber zum Ausdruck, nicht verstanden zu werden.

In der logopädischen Therapie stehen daher zunächst die Sprechfreude und die Kommunikation im Vordergrund. Leo darf in der Stunde so sprechen, wie er es gewohnt ist. Die Logopädin dient ihm lediglich als Sprachvorbild, indem sie seine Wortfehlbildungen mit der korrekten Aussprache wiederholt, ohne ihn jedoch konkret auf seine Fehler aufmerksam zu machen. So baut Leo Vertrauen zur Therapeutin auf, kann ihre Spielangebote annehmen und beginnt, beim Spielen munter vor sich hin zu plappern.

Spielerisch verpackte Übungen für gezielte Bewegungen der am Sprechen beteiligten Organe (Zunge, Lippen, Kiefer und Gaumen) stehen im Mittelpunkt der Therapie. Parallel dazu führt die Logopädin Hörwahrnehmungsübungen mit Leo durch. Er lernt, dass es Wörter gibt, die unterschiedliche Bedeutungen haben, sich aber nur durch einen einzigen Laut unterscheiden – zum Beispiel „Kanne“ und „Tanne“, „Tasche“ und „Tasse“ oder „Nagel“ und „Nadel“.

Die meisten kommunikativen Anforderungen ergeben sich für Leo natürlich außerhalb der Therapie, nämlich im Alltag mit der Mutter, der Erzieherin und mit anderen Kindern.

Daher berät die Logopädin die Mutter und die Erzieherin, wie sie den Therapieprozess bestmöglich unterstützen können. Ein wichtiger Aspekt ist, dass Leos Gesprächspartner ihn nicht kritisieren und korrigieren, sondern ihm in Form des „corrective feedback“ eine Rückmeldung geben, indem sie Leos Sätze ins Gespräch eingebunden korrekt wiederholen. Die Erzieherin bekommt dazu noch Vorschläge für mundmotorische Spiele, die Leo zu seinem großen Stolz den anderen Kindern vormachen kann.

Motopädie

Seine sprachlichen und motorischen Schwierigkeiten haben Leo so verunsichert, dass er durch sein Verhalten in eine Außenseiterposition geraten ist. Die motopädische Einzeltherapie soll deshalb nun sein Selbstbewusstsein und –vertrauen stärken.

Schon in den ersten Stunden wird klar, dass Leo ein bewegungsfreudiger Junge ist: Er klettert ausdauernd an Mattenberg und Klettergerüst, hüpft auf dem Trampolin und probiert die Schaukel aus. Dabei fallen eine erhöhte Risikobereitschaft und eine unsichere Bewegungskontrolle mit Gleichgewichts- und Koordinationsschwierigkeiten auf.

Die Motopädin macht ihm vielfältige Bewegungsangebote und setzt Leos Spielideen mit ihm um. So lernt er seine Möglichkeiten kennen und kann sie ausprobieren und gestalten. Das macht ihn immer sicherer. Beim Klettern ist er zum Beispiel zunehmend in der Lage, seine Kraft, seine Muskelanspannung und sein Gleichgewicht so zu steuern und einzusetzen, wie die Situation es erfordert. Die Erfolgserlebnisse machen ihn stolz und bereit für neue Anforderungen.

Mit gestiegenem Selbstbewusstsein und gestärkter Ich-Kompetenz ist Leo dann bereit für die Förderung in einer Kleingruppe.

Für sein inneres Gleichgewicht war es Leo bislang sehr wichtig, der „Bestimmer“ zu sein, weil er dann die Kontrolle über das Spiel hat. Das gibt ihm Sicherheit. Denn wer das Spielgeschehen bestimmt, muss auch nicht den Ansprüchen anderer standhalten. Das gilt auch für andere Situationen mit anderen Kindern oder Erwachsenen. Bei der Kindergartenhospitation, im Gespräch mit der Erzieherin und der Mutter wird klar, dass dieses Verhalten immer wieder zu Konflikten führt. Besonders mit der Mutter kommt es immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen, wenn es um die Einhaltung von Absprachen, Regeln und Grenzen geht.
 
Sein neu gewonnenes Selbstvertrauen und die größere Bewegungssicherheit sollen Leo nun in der Kleingruppe helfen, seine sozialen und emotionalen Kompetenzen zu erweitern und einzuüben.
 
Schon nach wenigen Therapiestunden zeigen sich erfreuliche Fortschritte. Leo kann seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse besser zurückstellen und gleichzeitig die der anderen Kinder anerkennen und verstehen. Bei Konflikten ist er schnell zu einem klärenden Gespräch bereit, geht auf Spielangebote von anderen Kindern an und nimmt sogar verschiedene Rollen innerhalb des Spiel- und Bewegungsgeschehens ein. Er wirkt zufriedener und selbstbewusster und entwickelt sich zu einem kooperativen Spielpartner.
 
Das positive Erleben der eigenen Fähigkeiten in der Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper, dem Material und der Gruppe stehen im Vordergrund der motopädischen Förderung.
Sie orientiert sich an den Fähigkeiten des Kindes, nicht an seinen Defiziten oder Symptomen und berücksichtigt die Persönlichkeit, den motorischen Entwicklungsstand und das Lerntempo des Kindes.
 
Leos Schwierigkeiten haben nach regelmäßiger Therapie, intensiver Elternarbeit – teilweise auch bei Leo und seiner Mutter zuhause – und den Beratungsgesprächen im Kindergarten deutlich abgenommen. Er macht gute Fortschritte im motorischen und sprachlichen Bereich. Dies macht sich auch in dem Entwicklungstest bemerkbar, den die Psychologin im Hinblick auf die bevorstehende Einschulung durchführt.
 
Er ist auf einem guten Weg und wird eine Regelschule besuchen können.

Hinsetzen und Aufstehen ist mühsam und braucht viel Zeit … sie weiß nicht, wie …“
 
Fabia ist 2 ½ Jahre alt und ein freundlichen Mädchen, das an ihrem Gegenüber stets interessiert und sehr neugierig im Kontakt zu anderen Kindern ist. Kinderlieder mit kleinen Gesten gefallen ihr gut.
 
Sie wird auf Anraten des Sozialpädiatrischen Zentrums in unserem Zentrum vorgestellt.
Schon in der Schwangerschaft macht sich Fabias Mutter Sorgen: Sie hat Schwangerschaftsdiabetes, eine Zuckererkrankung. Weil das Kind dadurch unter Umständen im Körper der Mutter nicht richtig versorgt werden kann, kommt Fabia sicherheitshalber durch eine geplante Geburt mit Kaiserschnitt (Sectio) zur Welt. Die Geburt verläuft komplikationslos.
 
In den ersten Monaten nach der Geburt weint Fabia sehr viel; sie will ständig auf dem Arm sein und bewegt sich nur wenig. Der Kinderarzt stellt schon bei der U 6 Verzögerungen in der motorischen Entwicklung fest. Bei der U 7 fällt auf, dass Fabias Kopf zu klein ist (Mikrozephalus). Dazu sind nun auch noch Beeinträchtigungen in anderen Bereichen, zum Beispiel in der Sprach- und Spielentwicklung erkennbar.
 
Mit einer Verordnung über „Eingangsdiagnostik Komplexleistung“ wenden sich die Eltern nun an unser Zentrum. Nach einer ausführlichen Diagnostik und nach Bewilligung der Therapie durch das Sozialamt kann die Behandlung beginnen.
 
Der Förder- und Behandlungsplan, der für Fabia erstellt wird, sieht Physiotherapie und Heilpägagogik vor.
 
Physiotherapie nach dem Bobath-Konzept
Fabias Muskelspannung ist im ganzen Körper sehr gering (eine sog. Muskelhypotonie). Außerdem kann sie ihre Haltung und ihre Bewegungen nicht gut kontrollieren. Dies führt unter anderem zu einem kleinschrittigen, unsicheren Gang und deutlichen Knick-Senkfüßen. Positionswechsel fallen ihr sehr schwer und gelingen nur sehr langsam.
 
Wie im Förder- und Behandlungsplan festgelegt, beginnt die Physiotherapeutin mit der Behandlung nach dem Bobath-Konzept. Das Konzept bezieht die Mutter stark mit ein; geht aber in erster Linie von Fabias Interessen aus. So möchte Fabia gerne beim Ausziehen der Schuhe helfen, bzw. es am liebsten alleine tun. Dazu will sie sich auf einen Kinderstuhl setzen. Doch jedes Mal landet sie mit einem „Plumps“ neben dem Stuhl und kommt nur sehr mühsam wieder hoch.
 
Warum ist das so? Was braucht sie, damit das nicht mehr passiert? Die Therapeutin bietet Fabia unterschiedlich hohe Stühle mit und ohne Seitenlehnen an. Dann beobachtet und bespricht sie mit der Mutter, mit welchem Stuhl Fabia am besten zurechtkommt und warum.
Um mit dem Po kontrolliert die Sitzfläche zu erreichen, braucht sie eine haltungsstabilisierende Unterstützung. Und sie muss vor allem den Bewegungsablauf vorher genau planen.
Im Laufe der Therapie entwickelt die Physiotherapeutin eine Reihe Ideen zur Gestaltung der Bewegungsabläufe in Fabias Alltag. Außerdem zeigt sie der Mutter Übungen zur Stärkung der Fußmuskulatur und um spätere Fehlstellungen oder Schmerzen zu vermeiden.
 
Heilpädagogik
Gegenstände erkundet Fabia bislang meist mit dem Mund. Sie kann Dinge nicht differenzieren und gezielt für ihre Zwecke benutzen. In der heilpädagogischen Förderung soll sie nun Erfahrungen mit den verschiedensten Materialien sammeln und einen angemessenen Umgang damit einüben.
 
Beim gemeinsamen Spiel lernt Fabia, sich auf fremdbestimmte Situationen einzulassen und auch kleine Anforderungen zu bewältigen. Die Mutter wird in diesen Momenten durch das Erkennen und Benennen des Geschehens für die Bedürfnisse ihrer Tochter sensibilisiert.
 
Wenn Fabia Frustration erlebt, weil ihr eine Handlung nicht so wie geplant gelingt, reagiert sie wütend mit Kopf schlagen, an den Haaren ziehen oder weinen. Im Umgang mit solchen Fehlschlägen benötigt sich noch viel Unterstützung.
 
Wie geht es weiter für Fabia?
Die Physiotherapeutin und die Heilpädagogin  tauschen sich regelmäßig aus, wie es Fabia geht, was ihr Freude macht , was ihr schwer fällt und welche Möglichkeiten der Therapiegestaltung gerade besonders wirksam erscheinen.
 
Eltern, Physiotherapeutin und Heilpädagogin überlegen, ob für Fabia ein integrativer Kindergarten in Frage kommt. Hier könnte sie in einer kleinen Gruppe und eingebettet in den Kindergartenalltag eine gezielte therapeutische Behandlung bekommen und so optimal wie möglich im Hinblick auf ihre besonderen Schwierigkeiten unterstützt werden.
Obwohl die Eltern ihre Tochter lieber in einem Regelkindergarten sähen, denken sie über eine integrative Kita nach, um ihrer Tochter die bestmöglichen Entwicklungschancen zu geben.

„Unser Sohn kann nicht allein spielen und zappelt ständig herum“
Timo haben wir bereits in der Eingangsdiagnostik kennen gelernt. Er ist vier Jahre alt, interessiert sich für viele Dinge und hat einen enormen Bewegungsdrang. Er kann sich jedoch nicht lange auf etwas konzentrieren und gerät schnell in Streit mit anderen Kindern, weil das Spiel nur seinen Vorstellungen ablaufen soll. Für die Eltern und Erzieherinnen ist es sehr anstrengend, weil ihm ständig etwas Neues einfällt und er sich nicht an Regeln hält. Die psychologische und medizinische Untersuchung im Zentrum hat Ergotherapie und ein Interaktionstraining durch die Psychologin empfohlen.
 
Ergotherapie
Gemeinsam mit den Eltern erarbeitet die Ergotherapeutin die Therapieziele: Timos Eltern ist es zum Beispiel sehr wichtig, dass ihr Sohn bei den Mahlzeiten und beim Spielen länger und ruhiger am Tisch sitzt. Die Therapeutin erklärt ihnen, wie seine Unruhe, die Ungeduld und die Zappeligkeit mit seiner schwachen Körperwahrnehmung zusammenhängen und wieso er dadurch auch Probleme hat, sich auf andere Kinder einzustellen.
 
In der Ergotherapie lernt Timo durch spielerische Angebote mit Hängematte, Rutsche, Trampolin, Schaukel, Bohnen- und Bällchenbecken oder Schaumstoffklötzen seinen Körper besser kennen. Durch immer wieder unterschiedliche Bewegungsabläufe übt er, Situationen einzuschätzen und Gefahren besser zu erkennen. Die Therapeutin gestaltet stets neue Szenarien für Timo, in denen er Ursache und Wirkung spielerisch erkennen und am eigenen Körper erspüren kann. Durch ausgesuchte Materialien spürt Timo, wie er seine Kraft dosiert und gezielt einsetzen kann. Auf dem Trampolin erfährt er z.B., wie er seinen Körper anspannen und sein Gleichgewicht halten muss. Das hilft ihm, sicher auf einem Stuhl sitzen zu können.
 
Die Ergotherapeutin bespricht mit den Eltern die schwierigen Situationen aus dem Familienalltag und sucht gemeinsam mit ihnen nach alltagstauglichen Lösungen. Sie überlegen, wie sie Timos Sitzposition am Tisch stabilisieren können. Für einen besseren Halt könnte zum Beispiel ein altersgerechter Kinderstuhl oder eine Unterlage für die Füße sorgen.


Damit er sich besser auf die Mahlzeiten konzentrieren kann, schlägt die Therapeutin vor, das Fernsehen und das Radio auszuschalten, damit Timo beim Essen nicht durch Bilder oder Geräusche abgelenkt wird.
 
Damit Timo auch zuhause seine Körperkoordination, Feinmotorik, Aufmerksamkeit und Ausdauer trainiert, überlegen seine Eltern und die Therapeutin, bei welchen Abläufen im Haushalt und Alltag der Familie er mithelfen kann. Er kann beispielsweise das Ausräumen des Bestecks aus der Spülmaschine und das Einsortieren in die Schublade erledigen. Auch beim Kochen kann Timo helfen: Salatwaschen und Möhrenraspeln fördern die Handgeschicklichkeit. Außerdem lernt er auch hierbei, seine Kraft zu dosieren, um das gewünschte Ziel zu erreichen.
Über seine konstruktive Hilfe beim Kochen freuen sich Timos Eltern sehr. Das Lob, die positive Aufmerksamkeit der Eltern und der eigene Stolz auf das gute Ergebnis steigern wiederum Timos Selbstbewusstsein.
 
Von seinen Eltern erhält Timo eine Mappe, in der er seine selbst gemachten Bilder aus der Therapie aufbewahrt. So kann er immer wieder schauen, wie gut er inzwischen malt.
 
Durch gemeinsame positive Erlebnisse verbessern sich der Kontakt und die Kommunikation zwischen Eltern und Sohn. Die Eltern lernen in gemeinsamen Therapiestunden, Timo bei Schwierigkeiten konstruktiv zu unterstützen. Timo selbst wird mit der Zeit immer mutiger, wenn es darum geht, sich auf Aufgaben wie An- und Auskleiden, Schuhe anziehen oder Aufräumen einzulassen.
 
Psychologisches Interaktionstraining
Timo sprudelt über vor Ideen, wie er seinen Alltag gestalten möchte, hat aber noch wenig gelernt, sich dabei mit anderen abzustimmen. Für seine Eltern ist es anstrengend, weil er sich nicht an ihre Aufforderungen hält, und andere Kinder spielen häufig nicht mit ihm, weil er immer seine Vorstellungen durchsetzen möchte.
 
Die Eltern können ihm helfen, sein Verhalten zu verändern, wenn sie im Alltag klare Anleitungen geben und auf die Einhaltung dieser Regeln achten sowie im gemeinsamen Spiel seine Aufmerksamkeit auf den Ablauf des Geschehens und das Tun der anderen lenken.
 
In der Videointeraktionsanalyse werden die Eltern in Alltags- oder Spielsituationen mit ihrem Kind gefilmt. Die Psychologin zeigt ihnen anhand ausgewählter Szenen, wie sie einerseits durch ihr Einwirken die gewünschte Reaktion bei Timo hervorrufen und ihn andererseits auch in seinen Stärken und seinem Neugierverhalten unterstützen können. So können sie beispielsweise sehen, wie Timo sich die Zähne zu Ende putzt, wenn sie ihm dabei Schritt für Schritt eine Anleitung geben – was er zuerst tun soll und was danach –, und wenn sie ihm seinen Erfolg bestätigen. Wenn sie im gemeinsamen Spiel mit der Schwester beiden zeigen, wer gerade dran ist und was der andere tut, kann Timo leichter erkennen, was er tun soll, und auch abwarten, bis er wieder an der Reihe ist.
 
Die Psychologin sucht am Filmmaterial die Sequenzen aus, die deutlich zeigen, wie die Eltern im Alltag ihr eigenes erfolgreiches Verhalten öfter und konsequenter einsetzen und erfolgreiches Verhalten des Kindes bestärken können. Beim Betrachten der nächsten Videoaufnahme von Eltern und Kind können die Eltern die Fortschritte erleben und anschließend weitere Veränderungen erarbeiten.
 
Timo lernt, dass er selbstständiger Abläufe zu Ende bringen kann und wird durch den Erfolg ermutigt, länger bei einer Sache zu bleiben. Er wird sozial aufmerksamer und benötigt auf Dauer auch hier weniger Regulierung von außen, so dass er sich leichter in ein Spielgeschehen einfügen kann.
 
Timos Eltern berichten
„Durch die neu erlernten Strategien und unsere veränderte Wahrnehmung Timos haben die Konflikte in unserer Familie deutlich abgenommen. Unser Alltag ist jetzt viel harmonischer. Auch die Wutausbrüche, die Timo früher so oft hatte, werden immer weniger. Er macht nun einen gut gelaunten und zufriedenen Eindruck. Die Fortschritte zeigen sich auch im Kindergarten. Er kann sich jetzt besser auf ein Spiel einlassen und sich mit andern Kindern abstimmen. Er wird jetzt auch wieder häufiger zu anderen Kindern nach Hause eingeladen.“